Wie nutzt man die Chancen von Industrie 4.0, um den Wettbewerb zu überholen? Der Schweizer Aufzugshersteller Schindler liefert dafür ein beeindruckendes Beispiel. Das Unternehmen hat deshalb kürzlich zwei renommierte Preise erhalten, den deutschen Digital Business Innovation Award sowie den MIT Sloan CIO Leadership Award des Massachusetts Institute of Technology. 

Besonders interessant: Anhand des Beispiels von Schindler lässt sich genau analysieren, was zu tun ist, um mit den Möglichkeiten von Industrie 4.0 zum Marktführer zu werden.

Kern der Digitalisierung ist das Service-Geschäft von Schindler, also die Wartung und Reparatur der Aufzüge und Fahrtreppen. Rund die Hälfte der 57.000 Mitarbeiter ist in diesem Bereich tätig und als Servicetechniker bei den Kunden unterwegs. Schindler hat jeden von ihnen mit einem iPhone von Apple ausgerüstet, das als sog. „digitaler Werkzeugkoffer“ dient.

Die Funktionen dieses digitalen Werkzeuges und seiner Software ermöglichen nicht nur eine signifikante Effizienz-Steigerung, sondern verändern den Serviceprozess insgesamt: Einsatzpläne und Fahrzeiten werden optimiert (mit einer Einsparung von 40 Millionen Kilometern pro Jahr!). Die Wartungstechniker können mit Hilfe des Smartphones die Baupläne von Anlagen abrufen, die vertraglich vereinbarten Wartungspläne einsehen, sich per Videochat Unterstützung von Kollegen einholen oder fehlende Ersatzteile online bestellen.

Gleichzeitig dient das Smartphone den Technikern als Analyseinstrument, mit dem sie u.a. die Steuerung der Anlage überprüfen, Vibrationen erfassen und Distanzen messen können. Die beim Serviceprozess gewonnenen Daten fließen zudem in einen Austausch mit dem Backoffice ein und bewirken so eine kontinuierliche Verbesserung der gesamten Prozesskette.

Parallel dazu hat Schindler auch die Digitalisierung bei seinen Produkte vorangetrieben. Sensoren in den Aufzügen und Fahrtreppen erfassen die Nutzung und Betriebszustände und melden diese an den Hersteller bzw. Servicetechniker. Im Idealfall kann also die Wartung oder Reparatur erfolgen, noch bevor ein sich anbahnender Schaden tatsächlich eintritt.

Die Frage ist also: „Wie schafft man das alles?“

Regel Nr. 1: Entschlossener Start

Schindler hat die Zeichen der Zeit erkannt und schon 2010 mit seiner Digitalisierungs-Strategie begonnen. Während andere Unternehmen also noch abgewartet haben (oder noch immer abwarten), was um sie herum geschieht, hat sich Schindler entschlossen zu einem „Pionier der Digitalisierung“ entwickelt.

Regeln Nr. 2: Strategischer, stufenweiser Aufbau

Schindler hat die Entwicklung in drei große Phasen aufgeteilt. Entscheidende Schritte in der ersten Phase waren: Die Entwicklung einer Basis-Prozessplattform, die Ausstattung der Aufzüge und Fahrtreppen mit intelligenten Sensoren (sie messen z.B. Temperatur, Vibrationen, Drehzahl der Motoren, sowie Geräusche, Beschleunigung und die genaue Positionierung aller Teile) sowie die Harmonisierung der IT innerhalb des Gesamtkonzerns.

In Phase Nr. 2 wurden anschließend die Voraussetzungen für die digitale Unterstützung der globalen Wertschöpfungskette geschaffen. Entscheidende Maßnahme war die Schaffung einer einheitlichen IT-Plattform für den Verkauf, den Vertrieb, die Länderorganisationen und die Servicebereiche. Alles das hat bereits für sich betrachtet die Produktivität und Effizienz im Unternehmen nachhaltig erhöht.

Zu einem „echten“ digitalisierten Unternehmen wurde Schindler dann 2013 in Phase Nr. 3., als nun auch die Anlagen und die Kunden mit in das Gesamtsystem einbezogen wurden. Die Kunden haben z.B. nun über die Schindler Service-Plattform ebenfalls Zugang zu den Betriebs- und Wartungsdaten ihrer Anlagen und können auf dieser Basis direkt mit Schindler kommunizieren.

Regel Nr. 3: Zusammenarbeit mit ausgezeichneten IT-Partnern

Trotz eigener hoher IT-Kompetenz hat Schindler von Anfang an die Kompetenz bedeutender IT-Unternehmen genutzt. Die o.g. „einheitliche IT-Plattform“ stammt von SAP. Entscheidende Algorithmen der Service-App und Datennutzung wurden gemeinsam mit dem Fraunhofer Institut entwickelt. Das iPhone wurde aufgrund seiner „intuitiven Bedienbarkeit“ als „digitaler Werkzeugkoffer“ gewählt (was Apple übrigens einen eigenen Werbespot mit Schindler wert war!).

Regel Nr. 4: Institutionelle Verankerung

Um die eigene digitale Kompetenz zu bündeln, hat Schindler als Tochtergesellschaft die Schindler Digital Business AG gegründet, die strategisch wie ein Start-up Unternehmen geführt wird. Aufgabenschwerpunkte sind u.a. die Einbeziehung der Kundenbedürfnisse und die Entwicklung weiterer disruptiver Geschäftsmodelle.

Regel Nr. 5: Klare Vorstellung über die erforderlichen Fähigkeiten von Mitarbeitern

CIO der Schindler Digital Business AG ist Michael Nilles. In einem Interview hat er klare Antworten zum künftigen Anforderungsprofil von Ingenieuren gegeben: „Am wichtigsten ist die Kompetenz, in einer globalen Welt in interdisziplinären Teams zusammenarbeiten zu können, und die Bereitschaft, sein Wissen zu teilen.“

Aber auch für seine eigene Rolle als Führungskraft in einer digitalisierten Welt nennt er ein präzises Anforderungsprofil: „Leidenschaft, Neugier, Mut und die Fähigkeit, begeistern zu können. Als CIO müssen Sie zudem in beiden Welten zu Hause sein. Sie müssen das bestehende Geschäft mit digitalen Technologien optimal unterstützen und weiterentwickeln, aber auch an neuen und disruptiven Themen arbeiten.“

Fazit

Natürlich hat jedes Unternehmen seine individuellen Voraussetzungen für die Nutzung der Chancen der Digitalisierung. Die „Case Study“ Schindler zeigt aber, welche Faktoren es zu berücksichtigen gilt: Starten statt warten. Planvolles Vorgehen, bei dem gezielt „ein Baustein nach dem anderen“ geschaffen wird. Entwicklung einer hohen IT-Kompetenz unter Einbeziehung der bestmöglichen IT-Partner. Institutionelle Verankerung der „Digitalisierungsentwicklung“ im Unternehmen. Klares Anforderungsprofil für Führungskräfte und verantwortliche Mitarbeiter. Aber vielleicht am wichtigsten: Das Beispiel von Schindler zeigt, dass alles das tatsächlich „möglich ist“.

Quellen: Schindler Aufzüge AG | NZZ, 14.6.2016 | Magazin der Fachhochule Luzern 15.2.2106 (Zitate Interview).
Auf dem Photo: Walter Brenner von der Uni St. Gallen, Uwe Dumslaff von Capgemini, Preisträger Michael Nilles, Schindler CIO, Michael Neff, IT-Chef von RWE und Handelsblatt-Redakteur Jens Koenen (von links) | Photo © Schindler

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