Interview des Gross ErfolgsColleg mit Herrn Prof. Dr. Arndt Borgmeier, Hochschule Aalen

 
Dipl.-Kfm. Stefan F. Gross hat Herrn Prof. Borgmeier in der Hochschule Aalen getroffen und mit ihm über die Herausforderungen und Chancen von Industrie 4.0 für den Mittelstand gesprochen. Lesen Sie hier das vollständige Interview.
Gross ErfolgsColleg: Welche Chancen bieten „Digitalisierung“ und Industrie 4.0 den mittelständischen Unternehmen?
Prof. Borgmeier: Industrie 4.0 und die damit verbundenen Möglichkeiten bieten insbesondere dem Mittelstand die Chance zur „Emanzipation“, im Sinne einer Befreiung aus der Abhängigkeit von mächtigen Systemintegratoren insbesondere für klassische Zulieferunternehmen.
So ist mit dem Internet der Dinge (IoT) bzw. Machine-to-Machine (M2M)-Communication die Chance verbunden, aus technischer Sicht praktisch jedes Objekt mit Hilfe von Software, Sensorik und Vernetzung „intelligent“ zu machen und es mit Informationen aus dem Anwendungsfeld und anderen Objekten auf fast kostenfreie Weise anzureichern. Die Transformation dieser technischen Möglichkeiten in wirtschaftlichen Erfolg funktioniert über neue Funktionalitäten und besonders über Services, die neue Umsatz- und Gewinnquellen sind und zugleich Kundenbindung aufbauen.
Beispiel „Wearable“: So kann ein Uhrenhersteller durch Zusatzinformationen wie Pulsfrequenzmessung oder GPS-Ortsinformationen am Handgelenk über die reine Uhrzeitinformationen hinaus innovative Zusatzfunktionen bieten. Beispielsweise einen Stressalarm, einen Ortshinweis auf nahe Apotheken oder Drogeriemärkte mit blutdrucksenkenden Mitteln, Verhaltenstipps oder das Senden eines Notrufes, und vieles mehr. Aus dem Uhrenhersteller wird ein Gesundheitsmessgerät-Hersteller und Gesundheitsberater. Herausfordernde Chancen!
Gross ErfolgsColleg: Wo liegen die größten Risiken und Hürden von Industrie 4.0 für mittelständische Unternehmen?
Prof. Borgmeier: Die Transformation hin zu Industrie 4.0 erfordert viele Anpassungen. Wesentliche Schlüsselkompetenz wird es sein, die fast kostenfrei verfügbaren Daten bzw. Informationen als „Rohstoff der Zukunft“ zu „monetarisieren“, d.h. wirtschaftlich für sich nutzbar zu machen. Dazu kommen weitere Aufgaben.
So erfordert Industrie 4.0 zum Beispiel ein neues Hineindenken in Kunden und Partner. Zusätzlich die Kreativität, neue Funktionalitäten und besonders immaterielle bzw. virtuelle Dienstleistungen zu entwickeln (Stichwort „Service Engineering“). Für traditionelle Hardwarehersteller von materiellen Gütern ist dies oft eine ganz neue Herausforderung. Auch sind geeignete, innovative Geschäftsmodelle zu erarbeiten, die u.a. die Kooperation mit Kunden und Dritten und den Umgang mit der zur Verfügung stehenden Informationsvielfalt beinhalten.
Ein Umdenken erscheint notwendig. Die Frage für KMU lautet: Wie gelingt es uns, unsere Leistungen sehr nah und nachhaltig im Anwendungsfeld an den Kunden bzw. an die Partner heranzubringen und die Kontaktintensität mit unseren Leistungen zu erhöhen? So erscheint mir die Beschäftigung damit wichtig, wie man als mittelständisches Unternehmen Plattformen aufbaut bzw. in bereits existierenden Plattformen auftritt. Dabei kann die Unterscheidung zwischen Kunden (sie zahlen letztlich für Leistungen) und Partnern (die wir z.B. für den fast kostenlosen Informations- und Wertaufbau benötigen) helfen.
Ein Bespiel dafür ist Google. Die Google-Suche ist kostenfrei. Die durch den Vorgang gewonnenen Informationen nutzt aber Google, um sie gewinnbringend an Werbekunden zu verkaufen. Dieses Prinzip lässt sich auf fast alles übertragen – nur kaum einer tut es bisher. Das wird sich aber schnell ändern.
Gross ErfolgsColleg: Worauf sollte die Führung besonders achten, um das eigene Unternehmen fit für Industrie 4.0 zu machen?
Prof. Borgmeier: Der erste Schritt ist, ein Bewusstsein im Management und im gesamten Unternehmen für die Chancen und Herausforderungen aufzubauen. Zweitens sollte meiner Meinung nach für jeden das Commitment des Top-Managements spürbar sein, dass es zwar nicht jedem Trend hinterherläuft, aber das Thema sehr bewusst vorantreibt.
Drittens erscheinen mir das Team und die Mitarbeiterqualifikationen wesentlich: Ein Denken „über den Tellerrand hinaus“ in Systemen und sogar in anderen – bisher kaum wirtschaftlich beachteten – Disziplinen wird notwendig.
Alles das wird teilweise als Transformation, aber teils auch „disruptiv“ (revolutionär) erfolgen. Gerade letzteres stellt hohe Anpassungsansprüche an kleine und mittlere Unternehmen. Die Führung sollte für diese großen Veränderungsaufgaben gewappnet sein und sich auf anspruchsvolle Veränderungsprozesse vorbereiten. Beispielsweise hat es ein Bauteilehersteller von mechanischen Türschließfedern wie GEZE geschafft, sich durch Umdenken hin zu Systemlösungen („Wir schließen Türen und sorgen für Sicherheit“) beim Kunden als führender Hersteller von Schließsystemen zu positionieren.
Wenn sie aber gut vorbereitet sind, dann gelingt dem Mittelstand die Transformation allerdings auch oft besser, als häufig zu trägen Großkonzernen.

Zur Person

Prof. Dr. Arndt Borgmeier ist Diplom-Wirtschaftsingenieur und Gründer und Leiter des Master-Studiengangs „Leadership in Industrial Sales and Technology“ an der Hochschule Aalen. Diese ist mit fast 6.000 Studierenden eine der größten und forschungsstärksten Hochschulen in Baden-Württemberg. Die Forschungsschwerpunkte von Prof. Dr. Borgmeier liegen auf den Feldern B2B-Vertrieb, Marketing und Services, besonders in den Branchen Maschinen- und Anlagenbau, Energiewirtschaft und Dienstleistungen. Er beschäftigt sich eingehend mit der digitalen Transformation und Industrie 4.0.